Women and Fiction: Mozarts Zauberflöte oder der Kampf der Geschlechter
Inszenierung der Zauberflöte von Karl Friedrich Schinkel 1816 an der Berliner Hofoper

So ziemlich jeder kennt dieses Singspiel, das Mozart 1791 kurz vor seinem Tod komponiert hat. Bis zum heutigen Tage reißt die Begeisterung und die Faszination für Mozarts Zauberflöte nicht ab. Die Story scheint einfach und schnell erzählt zu sein. Prinz Tamino soll Pamina, die Tochter der Königin der Nacht, aus den Fängen Sarastros befreien. Ihm zur Seite steht nicht nur der Vogelfänger Papageno, sondern auch Zauberinstrumente, die Tamino und Papageno von der Königin der Nacht bekommen und die die beiden bei ihrem gefährlichen Unterfangen vor dem Bösen bewahren sollen. Am Ende winkt Tamino Paminas Hand. Die Geschichte geht zwar weiter, jedoch kann man sie nicht erzählen, ohne sich in heillosen Widersprüchen zu verstricken und zu verfangen. Wie kommt es dazu? Als Zuschauer fallen einem diese Ungereimtheiten nicht auf. Denn anstatt, dass man Sarastro als Bösewicht entlarvt, kommt diese Rolle seiner Kontrahentin, der Königin der Nacht zu. Ja sie scheint geradezu als Herrscherin über Nacht und Finsternis all das Dämonische, Angsteinflößende und Irrationale, vor dem sich der Mensch scheut, zu verkörpern.
Simon Quaglio, Bühnenbildentwürfe zur Zauberfloete, München 1818, Aquarell, Deutsches Theatermuseum Muenchen
Sarastro, ihr Widersacher, von der Königin selbst als böser Dämon bezeichnet, erstrahlt hingegen in hellem, gleißenden Licht, voller Würde und Anmut, als Guter gleich einem Abgott.
Sarastro, Herrscher, Tempelherr, Oberpriester und Abgott über Weisheit, Vernunft und Natur
Doch die binäre Opposition aus hell, dunkel, Frau, Mann, böse und gut greift zu kurz. Bereits hier beginnt die Ver-Führung des Zuschauers. Von Musik, Dramaturgie, Bild und Farben verblendet, bemerkt der Zuschauer nicht, das Musik und Bild auf der einen Seite und der Text auf der anderen Seite getrennte Wege gehen.

Die Königin der Nacht, als eine rachsüchtige, herzlose und böse Frau verschrien, zeigt sich zerbrechlich, macht- und hilflos, getroffen an ihrem wundesten Punkt. Ein 'Bösewicht' entführte ihre Tochter. Dieser Bösewicht ist Sarastro, der Inbegriff für Vernunft, Weisheit, Gerechtigkeit und Güte. Auf die Ereigniskette, die zu dieser Gewalttat führte, soll später eingegangen werden. Zunächst will ich mich dem Frauenbild zuwenden, dass hier vermittelt wird. Die Königin der Nacht, Herrscherin und Besitzerin der Macht, eine Frau in einer Spitzenposition nach heutigen Verhältnissen, wird schwach, hilflos, schutzlos und ohnmächtig gezeichnet. Sie, die doch im Besitz der Macht sein sollte, muss auf einen Mann zurückgreifen. Wie sehr dieser Mann wirklich Mann ist, darüber wird noch zu reden sein. Das einzige, was diese 'hilflose' Frau im Stande ist zu tun, und was auch dem gesellschaftlichen Erwartungsbild an eine Frau entspricht, ist zu leiden, ein passives Verharren und Hoffen auf männlichen Zuspruch. Das, und genau das ist auch das einzige, was dieser Frau und Königin von den männlichen Akteuren zugebilligt wird. Sei es in den fiktiven männlichen Figuren oder von den männlichen Schöpfern dieser Oper selbst.

Königin der Nacht:
Arie "Zum Leiden bin ich auserkoren"
Zum Leiden bin ich auserkoren,
denn meine Tochter fehlet mir;
durch sie ging all mein Glück verloren,
ein Bösewicht entfloh mit ihr.
Noch seh' ich ihr Zittern,
mit bangem Erschüttern
ihr ängstliches Beben,
ihr schüchternes Streben.
Ich musste sie mir rauben sehen,
'Ach helft', war alles, was sie sprach:
Allein vergebens war ihr Flehen,
denn meine Hilfe war zu schwach.
Du [Tamino] wirst sie zu befreien gehen,
du wirst der Tochter Retter sein;
und werd' ich dich als Sieger sehen,
so sei sie dann auf ewig dein.


Den vermeintlichen Fehler, den die Königin der Nacht begeht, ist nach dem Tod ihres Mannes, der selbst Herrscher und Oberpriester auf dem Thron der Weisheit, Vernunft und Natur war, selbst ihre Herrschaftsansprüche geltend zu machen. Und das bringt Sarastro Pamina gegenüber auch deutlich zum Ausdruck. Pamina, die vor der versuchten Vergewaltigung durch Sarastros Diener Monostatos versucht hat, zu fliehen, bittet Sarastro um ihre Freilassung. Doch dieser gewährt ihr diese nicht.

Pamina (kniet vor Sarastro):
Herr, ich bin zwar Verbrecherin,
ich wollte deiner Macht entfliehen!
Allein die Schuld ist nicht an mir,
der böse Mohr verlangte Liebe.
Darum, o Herr, entloh ich Dir.

Sarastro:
Steh auf, erheitre dich,o Liebe!
Denn ohne erst in dich zu dringen,
weiß ich von deinem Herzen mehr:
du liebest einen Anderen sehr.
Zur Liebe will ich dich nicht zwingen,
doch geb' ich dir die Freiheit nicht.

Pamina:
Mich rufet ja des Kindes Pflicht,
denn meine Mutter...

Sarastro:
...steht in meiner Macht.
Du würdest um dein Glück gebracht,
wenn ich dich ihren Händen ließe.

Pamina:
Mir klingt der Muttername süße.
Sie ist es...

Sarastro:
....und ein stolzes Weib.
Ein Mann muss eure Herzen leiten.
denn ohne ihn pflegt jedes Weib
aus seinem
Wirkungskreis zu schreiten.

Pamina, ganz Frau, unterwirft sich dem Patriarchat. Ganz Frau ist sie nicht in der Lage, selbst zu wissen, zu fühlen und zu denken, was gut für sie ist. Sarastro, Machtmensch und Führungsfigur, der zudem weiß, wie er sich verkaufen muss, gewinnt über Pamina die Kontrolle. Mit einem scheinbaren Entgegenkommen, er erlässt ihr die Schmach und Schande einer Vergewaltigung, und Paminas scheinbarer Errettung vor seinen eigenen Bediensteten macht er sich sie gefügig. Er weiß besser über ihre Seele und Gefühle Bescheid als Pamina selbst. Er beendet ihre Sätze und füllt die Leerstellen nach seinem Gutdünken und gemäß seiner Ideologie und Machtpolitik. Pamina löst ihre Loyalität zu ihrer Mutter und übt Verrat an ihr.
Die Königin der Nacht verliert ihren letzten Rückhalt. Den Jüngling, den sie schickte, ausgestattet mit Zaubermitteln, die sie vor Gefahren bewahren sollten, läuft zu Sarastro über. Ihre Tochter ebenfalls. Allein und verlassen, greift sie zum letzten Mittel. Um ihrer Tochter eine letzte Möglichkeit zu geben, sich auf ihre Herkunft zu besinnen und ihre Loyalität zu ihrer Mutter zum Ausdruck zu bringen, plant sie die Ermordung Sarastros durch die Hand ihrer Tochter. Die "Rachearie" ist Rache, Verzweiflung, letztes Aufbäumen einer verzweifelten Frau in einem:

Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen,
Tod und Verzweiflung flammet um mich her!
Fühlt nicht durch dich Sarastros Todesschmerzen,
so bist du meine Tochter nimmermehr.
Verstoßen sei auf ewig, verlassen sei auf ewig,
zertrümmert sei'n auf ewig alle Bande der Natur,
wenn nicht durch dich Sarastro wird erblassen!
Hört, Rachegötter, hört der Mutter Schwur!


Hier wird ein weiterer Topos eines Weiblichkeitsbildes transferriert. Rache ist weiblich. Damit wird die Irrationalität der Weiblichkeit noch einmal mehr hervorgekehrt. Sarastro, fest und unumstößlich auf dem Thron der Macht, weiß, dass er solche Mittel nicht nötig hat. Auch deshalb kann er so gelassen und ruhig die folgenden Zeilen besingen. Versteckt hinter der Tonart E-Dur, getragen von einem langsamen Zeitmaß (Larghetto, 2/4-Takt) verkündet er die Definition in Mensch und Nicht-Mensch in seiner Arie "In diesen heil'gen Hallen":

In diesen heil'gen Hallen
kennt man die Rache nicht,
und ist ein Mensch gefallen,
führt Liebe ihn zur Pflicht,
Dann wandelt er an Freundes Hand
vergnügt und froh ins beß're Land.

In diesen heil'gen Mauern,
wo Mensch den Menschen liebt,
kann kein Verräter lauern,
weil man dem Feind vergibt.
Wen solche Lehren nicht erfreu'n,
verdient nicht ein Mensch zu sein.


Was ist nun mit dem jungen Helden Tamino? Wie kommt er in der Oper weg und wie sehr entspricht er einem männlichen Ideal?
Den ersten Eindruck, den der Zuschauer von Tamino bekommt, ist der eines Schwächlings. Im Angesicht der Gefahr (eine riesenhafte Schlange bedroht ihn), bekommt er es mit der Angst zu tun, schreit um Hilfe und fällt in Ohnmacht.
Tamino:
Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sonst bin ich verloren,
der listigen Schlange zum Opfer erkoren!
Barmherzige Götter! Schon nahet sie sich!
Ach, rettet mich! Ach, schützet mich!


Gerettet wird er von den drei Damen der Königin der Nacht.

Die drei Damen:
Stirb, Ungeheu'r, durch unsre Macht!
(Sie durchboren die Schlange mit ihren Wurfspießen.)
Triumpf! Triumph! Sie ist vollbracht,
die Heldentat! Er ist befreit
durch un'res Armes Tapferkeit.

Was von einem männlichen Helden, Hoffnungsträger der Königin der Nacht auf die Errettung ihrer Tochter, zu halten ist, der bei der ersten Gefahr in Ohnmacht fällt und vom vermeintlich schwächeren Geschlecht gerettet werden muss, ist fraglich. Wie verzweifelt muss eine Mutter sein, das Schicksal ihres einzigen Kindes so einem Mann anzuvertrauen. Spätestens, als ihr klar wird, dass Tamino sein Versprechen ihr gegenüber gebrochen hat, dass Tamino ein Mann ohne Rückgrad ist, wird sie ihre Wahl wohl bereut haben.

Die Königin der Nacht:
Rezitativ:
O zitt're nicht, mein lieber Sohn!
Du bist ja schuldlos, weise, fromm;
ein Jüngling, so wie du, vermag am besten
dies tiefbetrübte Mutterherz zu trösten.

Bezeichnend ist auch, dass Tamino sich nicht in Pamina selbst, sondern in ein Bildnis von ihr verliebt. Diese Episode aus der Zauberflöte ist symptomatisch für das disparate Verhältnis zwischen den real existierenden Frauen und den imaginierten. Die real existierende Pamina ist nicht von Belang oder Interesse, nur das von Tamino aufgebaute, imaginierte oder phantasierte Bild, das er sich von seiner Angebeteten macht, zählt. Damit wird hier noch einmal nachvollzogen, wie es um die real existierende Frau bestellt ist. Sie existiert nicht. Das einzige, was existiert, sind die verschiedenen Bilder der Weiblichkeit.

Tamino: Bildnisarie
Dies Bildnis ist bezaubernd schön,
wie noch kein Auge je gesehen!
Ich fühl' es, wie dies Götterbild
mein Herz mit neuer Regung füllt.
Dies etwas kann ich zwar nicht nennen,
doch fühl' ich's hier wie Feuer brennen.
Soll die Empfindung Liebe sein?
Ja, ja! Die Liebe ist's allein.-
Oh, wenn ich sie nur finden könnte!
Oh, wenn sie doch schon vor mir stände!
Ich würde -würde- warm und rein-
Was würde ich? - Ich würde sie voll Entzücken
an diesen heißen Busen drücken,
und ewig wäre sie dann mein.


Wie ist es außerdem zu erklären, dass das einzige Liebesduett in dieser Oper nicht zwischen Pamina und Tamino, auch nicht zwischen Papagena und Papageno, sondern zwischen Pamina und Papageno stattfindet? Zwischen Frau und ? Ja, was eigentlich. Papageno bezeichnet sich zwar als Mensch, dies wird jedoch selbst von Tamino bezweifelt. Leider lässt auch der Text an dieser Stelle offen, für was oder wen Tamino eigentlich Papageno hält ("Nach deinen Federn, die dich bedecken, halt' ich dich.....") Es scheint fast so, als ob uns Komponist und Librettist im Verborgenen andeuten wollten, dass die tatsächliche Liebesgeschichte sich auf einem ganz anderen Spielfeld abspielt.
Librettist Emanuel Schikaneder als Papageno in der ersten Aufführung
In der ersten Passage passieren vom jeweils anderen Geschlecht Zuschreibungen und Erwartungshaltungen in Sachen Liebe, die musterhaft vom anderen zu erfüllen seien.
Die Einordnung der Liebe in die Sphäre der Natur in der zweiten Passage rückt jene einerseits eindeutig in die Nähe des Naturmenschen Papageno und weg von dem Kulturwesen Taminos, andererseits jedoch auch eindeutig in den Einflussbereich von Sarastro. dem Hüter der drei Tempel Weisheit, Vernunft und Natur. Damit wird dem Herrschaftsbereich der Königin der Nacht auch die Fähigkeit zur Liebe abgesprochen. Ausgesprochen von einem männlichen Wesen passiert hier eine erneut männliche Zuschreibung und Aussage über das Weibliche.

Duett Pamina/Papageno: "Bei Männern, welche Liebe fühlen"
Pamina:
Bei Männern, welche Liebe fühlen,
fehlt auch ein gutes Herze nicht.
Papageno:
Die süßen Triebe mitzufühlen,
ist dann der Weiber erste Pflicht.
Beide:
Wir wollen uns der Liebe freu'n,
wir leben durch die Lieb' allein.
Pamina:
Die Lieb' versüßet jede Plage,
ihr opfert jede Kreatur.
Papageno:
Sie würzet unsre Lebenstage,
sie wirkt im Kreise der Natur.
Beide:
Ihr hoher Zweck zeigt deutlich an,
nichts Edlers sei als Weib und Mann.
Mann und Weib, und Weib und Mann,
reichen an die Gottheit an.